„Wenn nicht jetzt, wann dann?“ – Alex Frey von DEVICIOUS über die Anfänge, Touren im Jahr 2023 und Künstliche Intelligenz
Anfang Mai konnte Rocknews mit Alex Frey über das neue Album „Code Red“ sprechen. Aus einer geplanten halben Stunde wurden zwei Stunden Talk über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der deutschen Band, die in fünf Jahren fünf Alben mit 3 verschiedenen Sängern herausgebracht hat. Und weshalb es nie zu spät sein sollte, nochmals von Vorne anzufangen.
Stephan Lipp
Abschliessend wird es wohl nie genau geklärt werden können, ob dieser Ausspruch nun im Original von HÖHNER kommt, oder die Band zufällig 2016 auf der gleichen spanischen Ferieninsel wie Alex Frey und seine späteren Bandkumpels verbracht haben, als dem Bassisten und Songschreiber von DEVICIOUS klar wurde:
Wenn wir nochmals eine Band starten und so richtig viel Eifer, Schweiss und Blut reinstecken möchten, dann können wir nicht länger warten. Wenn nicht jetzt, wann dann?
So kam es, dass Alex seine Ferien in der Sonne abbrach und zurück nach Deutschland flog, um mit dem Songwriting zu beginnen. Die Songs für den Erstling waren schnell geschrieben, dennoch dauerte es noch eine Weile, bis 2018 das Erstlingswerk von DEVICIOUS – „Never Say Never“ – endlich über die Ladentheken ging.
Wir hatten einen Deal für „Never Say Never“ abgeschlossen, doch das ganze kam nicht so wirklich in die Gänge. Private und persönliche Probleme hinderten unseren Label-Partner daran, das Album so richtig zu promoten oder überhaupt erst in die Gänge zu kommen. Das alles zog sich über Monate hinweg bis wir letztlich die bereits gepressten CDs herauskauften und eine andere Lösung suchten. Letztendlich konnten wir 2018 unser Debut doch noch releasen.
Und so nahm DEVICIOUS richtig Fahrt auf und veröffentlichte quasi im Jahrestakt neue Alben. Dabei nimmt Alex Frey die Position des Bandleaders und Hauptkomponisten ein.
Das hat sich so ergeben. Die anderen Jungs haben zum Teil kaum oder keine Zeit für das Songwriting, da sie Familie haben oder zeitkonsumierende Jobs. Auch haben sie nicht unbedingt das Bedürfnis, sich songschreiberisch zu beteiligen. Radivoj (Gitarre) kommt ab und an mit einem tollen Riff und einer Songidee, die ich übernehme und weiter ausarbeite. In der Regel schreibe ich die Songs jedoch selbst über einen kurzen Zeitraum. Ich mag es nicht, Ewigkeiten an einem Song rumzutüfteln, ihn liegen zu lassen, wieder hervor zunehmen und weiterzubasteln. Darum entstehen die meisten Songs über einen Zeitraum von 2, 3 Wochen und werden dann an den Rest der Band weitergegeben. Ich komponiere die Songs vornehmlich mit dem Bass und nehme dazu Keyboards und Synthesizer auf, um dem Song einen musikalischen Kontext zu geben. Dazu noch etwas Schlagzeug programmieren, eine Gesangslinie drüberlegen und fertig. Die Band erhält diese Demosongs und übernehmen die Parts dann so oder bringen Vorschläge für dies und das. Letztendlich entscheide aber ich darüber, wie der Song am Ende aufgenommen wird. Wir sind also so etwas wie eine demokratische Diktatur.
Neben der schier unglaublichen Pace – fünf Veröffentlichungen innert 5 Jahren – welche DEVICOUS an den Tag legt ist auch die Bandbesetzung eine beständige Komponente in der Geschichte von DEVICOUS. Mit Ausnahme des Sängers. Während auf den ersten beiden Alben Zoran Šandorov die Position am Mikrophon inne hatte, löste ihn Antonio Calanna für die Nachfolgealben „Phase Three“ und „Black Heart“ ab. Von beiden Sängern hat man sich in aller Freundschaft und Einvernehmlichkeit getrennt, da Wege und Ziele über die Jahre nicht mehr die gleichen waren. Für das aktuelle Album „Code Red“ (Siehe auch den Review bei Rocknews: DEVICIOUS – „Code Red“) hat nun Baol Bardot Bulsara den Posten als Frontmann übernommen.
Ich habe Baol vor Jahren als Unterhalter in einer Hotelbar in Spanien kennengelernt, und war sofort hin und weg von seiner Stimme. Ihn hätte ich gerne von Anfang an bei DEVICIOUS dabei gehabt, allerdings hat das damals nicht geklappt. Später ist er dann bei TNT eingestiegen, eine Band die wir bei DEVICIOUS sowieso verehren. Baol hat bereits Backing-Vocals bei „Black Heart“ eingesungen, und als Antonio und DEVICIOUS beschlossen, getrennte Wege zu gehen, hat alles gepasst. Baol bringt viel Erfahrung mit und singt anders als seine Vorgänger. Er überarbeitet auch gerne mal die Texte. Als Sänger hat er den Ehrgeiz, alle Texte zu seinen zu machen und umzuschreiben. Wenn er dann aber länger an einer Passage rumprobiert und mir verzweifelt sagt, dass er da nicht weiterkommt meine ich dann als: Jetzt hast du solange versucht, etwas zu finden. Offenbar war da mein Text passend. Lass uns doch den nehmen. Dann stimmt er mir zu und wir machen es so. Mit Baol haben wir einen Sänger, der die Songs viel klarer intoniert und singt, weniger Metal, mehr melodischer Rock und AOR. Mit ihm an der Stimme haben wir uns für „Code Red“ also wieder an unsere alten Tugenden erinnert und sind – was Songs und Stil angeht – wieder zurück zu unseren Wurzeln gekehrt.
Zurück zu den Wurzeln, das war auch angesichts der Fan-Feedbacks zum Vorgänger „Black Heart (2022)“ ein durchaus durchdachter und absehbarer Schritt. Auf „Black Heart“ zeigten sich DEVICIOUS experimentierfreudiger als auf den vorangegangen Alben. Viel Abwechslung, viele neue Elemente, vieles wurde ausprobiert. Während dies bei Kritikern und Reviewern durchaus Anklang fand und „Black Heart“ wohlwollend aufgenommen wurde, spaltete das Album jedoch die Fan-Basis. Mit „Code Red“ wollte man sich vielleicht auch mit den Fans wieder etwas versöhnen und hat einen sichereren Weg eingeschlagen, was glücklicherweise nicht auf Kosten der Abwechslung und der Songs geschehen ist. Mit dem Wechsel des Sängers konnte sich die Band neu ausrichten und positionieren. Und so zieht „Code Red“ mit neuen Songs doch eine Art Resümee über das gesamte Schaffen, auch erscheint das Album auf dem „alten“ Label Metalapolis Records, unter welchem bereits „Reflections (2019)“ und „Phase Three (2020)“ veröffentlicht wurden.
„Code Red“ ist das Album, das wir schon immer machen wollten und genau so sollen DEVICIOUS klingen! Auf „Black Heart“ haben wir viel gewagt und probiert. Die Coronazeit hat auch uns einen Strich durch die Rechnung gemacht, touren war nicht möglich, und so verbrachten wir mehr Zeit mit dem Songwriting und den Aufnahmen als üblich. Das Ergebnis war eine für DEVICIOUS untypische Platte, die allerdings trotzdem vollkommen nach DEVICIOUS klang. Das Feedback war leider durchwachsen, und als wir mit Baol einen neuen Sänger fanden hiess es: Alles zurück auf Anfang. So kam es auch, dass ich auf einem Konzert wieder mit den Verantwortlichen von Metalapolis ins Gespräch kam, wir uns über die alten Zeiten unterhalten haben und einfach alles wieder gepasst hat. Zurück zu alten Tugenden trifft es also sehr gut, wir machen auf „Code Red“ das, was wir am besten können.
Das merkt man nicht nur am Stil der Songs. Die Band hat hörbar Freude am neuen Material und spielt sich selbst in ekstatische Höchstleistungen. Back to the roots ist aber nur die halbe Wahrheit, denn während die Rückbesinnung auf die Anfänge hörbar sind, ist „Code Red“ dennoch ein Schritt nach vorne. DEVICIOUS sind zufrieden mit sich und das Album strahlt eine fast schon trotzige Selbstverständlichkeit aus. Auch der Sound der Platte ist anders. Weniger auf Hochglanz getrimmt, weniger Bombast. Dafür viel Ehrlichkeit, Raum und Platz für Entdeckungen, die einem beim blossen Durchhören verborgen bleiben. Befasst man sich aber intensiver mit „Code Red“ und HÖRT die Songs, findet man so manche Überraschung.
Die Songs sind geradliniger als noch auf „Black Heart“, dennoch haben wir bei vielen Stücken viele kleine Momente eingebaut, die den Sound von DEVICIOUS ausmachen. Da gibt es Teile, die fast schon ins Progressive gehen, da gibt es unerwartete Wendungen und Veränderungen in den Arrangements während den Stücken. Aber alles besser versteckt oder lückenloser ins Arrangement eingebunden als es noch bei „Black Heart“ der Fall war. Unter anderem ist es das, was das Album aus den vielen neuen Veröffentlichungen im Melodic Rock / AOR Bereich herausstechen lässt. Allerdings – everything comes at a price. Zwar bietet sich „Code Red“ dem Hörer beim ersten durchhören als gefälliges, genretypisches Album mit guten Songs und Mitsing-Refrains, seine Stärke entwickelt es aber erst, wenn man sich mit den Songs intensiver beschäftigt. Dann aber zündet es unüberhörbar seinen Nachbrenner und nistet sich im Gehör als eines der Highlights der ersten Jahreshälfte ein.
Baol wurde im April 2022 in der Schweiz mit dem ersten Live-Konzert in der neuen Besetzung vorgestellt, „Code Red“ war bereits im Juli 2022 fertig eingespielt, und trotzdem hat es fast ein Jahr gedauert, bis es veröffentlicht wurde.
Wir hatten das Album letzten Sommer bereits fertig in Händen. Da wir aber CD und Vinyl gleichzeitig veröffentlichen wollten hiess das: Warten. Die Vinyl Produktion dauert nach wie vor sehr lange, und wir wollten auf jeden Fall, dass wir die LPs zur Veröffentlichung verfügbar haben. Ende Jahr wollten wir dann doch endlich einen Song veröffentlichen, und so haben wir etwa alle 1.5 Monate eine Single mit Video herausgebracht. Rückblickend ist das schon eine sehr lange Zeit und es ist schwer, kontinuierlich die Aufmerksamkeit aufrecht zu halten – auch innerhalb der Band. Ich bin gerade daran, das letzte Video, das etwa zeitgleich mit der Veröffentlichung von „Code Red“ einhergeht, fertigzustellen. Und dann ist auch schon die Tour mit Maverick und Violet angesagt. Und diese Tour führt DEVICIOUS auch für drei Termine in die Schweiz. Während sich die Besucherdichte nach dem coronabedingten Wegfall von Live-Konzerten nur langsam erholt, spüren die Bands auch den Kostendruck bei einer mehrtägigen Tour. Wegen mangelnder Vorverkäufe musste schon so manche Tour abgesagt werden, weil es einfach nicht einschätzbar ist, ob man die anfallenden Kosten auch nur annähernd decken kann. Für die Konzertlokale bietet sich das Dilemma, dass sie ebenfalls nicht planen können und vorsichtiger mit Gagen werden. Auch DEVICIOUS kennt diese Problematik.
Wenn man eine Tour plant ist heute das Ziel, dass man nicht all zu viel drauflegt. Die Planung wird schwieriger und gibt es nur einen einzigen Faktor – z.B. eine Lokalität die plötzlich abspringt – kann das die ganze Tour gefährden. Wir sind bereit, auch ein wenig Minus zu machen, aber irgendwo hat das auch Grenzen. Auch müssen wir Kompromisse eingehen. Auf diese Tour geht es beispielsweise nicht mit dem Night-Liner und wir haben keine Hotels gebucht. Alle Bands fahren nach den Konzerten wieder nach Hause, und am nächsten Tag geht es zur nächsten Lokalität. Für Maverick konnten wir eine permanente Unterkunft in Deutschland für die Zeit der Tour auftreiben, auch sie kehren nach jedem Gig dorthin zurück. Das ist Anstrengend, aber hilft, die Fixkosten klein zu halten. Da ist alles kalkuliert und berechnet und geht plus/minus am Ende für alle auf. Aber fällt z.B. einer der besser bezahlten Gigs weg, kann die Tour in Schieflage geraten. Auf jeden Fall freuen wir uns darauf, „Code Red“ live präsentieren zu können. Wir haben eine Art „Best Of“ Setliste, bei der garantiert niemand stillsitzen kann.
Neben ein paar Konzerten in der Schweiz im Kulturwerk 118 in Sursee, Jonny’s Lion Cave in Trübbach und der Hardrock Lounge in Dielsdorf sind natürlich auch einige Konzerte in Deutschland geplant, so zum Beispiel in Mörlenbach in der Live Music Hall. Ich selbst kenne Mörlenbach vom Durchfahren auf dem Weg zu meinen Grosseltern selig. Tiefste Provinz, das ist fast noch untertrieben. Schon vor Jahrzehnten habe ich immer wieder die Konzert Plakate gesehen und mich gefragt: Wer spielt denn dort?
Der Club in Mörlenbach ist so etwas wie unsere Home-Base. DEVICIOUS spielt dort seit den Anfängen, bestimmt 7 oder 8 Mal waren wir schon dort und haben uns ein Stammpublikum erspielt. Der Club hat sich seit den 80ern kaum verändert und sieht aus, wie direkt mit der Zeitmaschine in Gegenwart versetzt. Das tut der Stimmung aber keinen Abbruch, und die Herzlichkeit der Gastgeber ist Legendär. Wir kehren immer wieder gerne dahin zurück.
Jedes Jahr ein neues Album, jedes Jahr ein bis zwei Touren. DEVICIOUS gehört zu den am härtesten arbeitenden und präsentesten Bands in ihrem Genre.
Haha, ja, manchmal habe ich das Gefühl, dass die Fans unser schon überdrüssig sind! Wir sind tatsächlich sehr viel unterwegs. Dieses Mal allerdings muss nächstes Jahr nicht mit einem neuen Album gerechnet werden, wir versuchen, da etwas Geschwindigkeit rauszunehmen und auch etwas weniger exzessiv zu touren. Klar wird es nach der anstehenden Tour im Juni im Laufe des Jahres noch ein paar Festivals geben, auf denen wir spielen, aber das war’s dann auch für den Moment. Und da es ja momentan eh schwierig ist, Tourneen zu planen hat sich die Band auch verdient, mal einen Gang zurückzuschalten. Neben den Kosten für Konzerte und Tourneen ist aktuell die Künstliche Intelligenz in aller Munde. Kaum ein Tag vergeht, an welchem eine neue KI Furore macht und gehyped wird. Bildgeneratoren, welche aufgrund von Texteingaben Bilder erstellen, für die man zuvor einen Grafiker teuer bezahlt hat. Textroboter, die ganze Dissertationen zu schreiben vermögen. Wie sieht denn die Zukunft in der Musik aus, braucht es überhaupt noch Songschreiber? Die Technologie hat tatsächlich wahnsinnige Fortschritte gemacht. Ich bin gerade daran, das Video für unsere nächste Single „No More Tears“ mit KI zu erstellen. Dafür nehme ich Bilder und Fotos und lasse sie durch die KI in Einzelbildern verfremden, daraus wird dann das Video zusammengeschnitten. Was den grafischen Bereich angeht, da wird in Zukunft schon sehr vieles mit Software gemacht werden können, wofür es heute Menschen braucht. Ich habe die Vor-Version vom nächsten Adobe Photoshop, da kann ich ein Foto von mir im T-Shirt nehmen, gebe Photoshop die Anweisung „Ersetze das T-Shirt durch einen Anzug“ und in sekundenschnelle generiert mir die Software stimmige 4 Varianten von mir im Anzug. Was die Musik angeht, glaube ich nicht, dass wir soweit kommen werden, dass wir auf Musiker und Songwriter verzichten können. Aber zur Unterstützung im ganzen Songwritingprozess wird es da sicher das eine oder andere geben.
Aber erstmal wird Ende Mai das neue Album „Code Red“ von DEVICIOUS erscheinen. Für Alex Frey gibt es bis dahin noch einiges zu tun. Das Video fertigstellen und veröffentlichen. All die Vorbestellungen verpacken und versenden, Interviews geben, bis es dann im Juni mit der Tour losgeht. Und so endet unser WhatsAPP Interview, das ich glücklicherweise mitgeschnitten habe – sich später dann aber herausstellt, dass der Ton nicht aufgenommen wurde. Gut, dass ich in einer Zeit aufgewachsen bin, in der man sich noch nicht auf KI und Aufnahmen verlassen konnte und habe fleissig Notizen gemacht.
Eine Woche nach dem Interview dann die Hiobsbotschaft: Eben eines dieser entscheidenden und einschneidenden Ereignisse, das ganze Tourneen zu Fall bringt ist eingetroffen. Die Unterkunfts-Möglichkeit für Maverick wurde kurzfristig abgesagt, aufgrund der zu erwartenden Kosten für Hotelunterkunft und Anzahl der vorverkauften Tickets, tagelangem erfolgloser Suche nach alternativen Möglichkeiten musste die Tour abgesagt werden. Es ist ein Schwanzbeisser – einerseits sind die Bands und Veranstalter auf die Zahlen des Vorverkaufs angewiesen um auch nur halbwegs abschätzen zu können, ob die Kosten wenigstens annähernd gedeckt sind, andererseits sind es die vielen Tour- und Konzertabsagen, welche aktuell dazu führen, dass der Vorverkauf immer weniger genutzt wird – muss der Ticketeigentümer doch oft mit Umtrieben rechnen und die Vorverkaufsgebühr wird in der Regel auch nicht zurück erstattet. Aber DEVICIOUS wären nicht DEVICIOUS, wenn sie nicht ein Herz für ihre Fans hätten und zeigen sich bereit, die Vorverkaufsgebühren allen Fans zurückzuerstatten, sollten sie von den Verkaufsstellen einbehalten werden. Und wer weiss… vielleicht können wir so doch mit einem neuen Album nächstes Jahr rechnen, denn irgendwie müssen sich die Mannen ja beschäftigen!