Too Big To Fail – wtf!

Too Big To Fail – wtf!

Wir kennen diesen Begriff in erster Linie aus der Wirtschaft, er meint grosse Unternehmen, welche mit ihrem Untergang so viele Probleme verursachen würden, dass die Staaten ihr Portemonnaie öffnen und unsere Steuergelder verschleudern.

eine Kolumne von Danny Frischknecht

Warum ich mich mit diesem Thema befasse und was das mit Musik, mit Rock und Metal zu tun hat? Das will ich in den kommenden Abschnitten aufzeigen. Achtung; du brauchst Zeit, um das zu lesen, es gibt keine Videos oder Bilder und auch keine Kurzzusammenfassung.
Dafür wieder eine englische Übersetzung unterhalb der deutschen Version.

Size doesn’t matter…

Diesen Spruch kennen wir eher im Zusammenhang mit männlicher Bestückung, allenthalben wird kolportiert, es wäre eine Ausrede von eher unterdurchschnittlich ausgestatteten Männern. Sei’s drum.

Ich beziehe mich hier jedoch auf Konzerte und Festivals:
In den letzten Jahren wurden sie immer grösser, mit immer bekannteren Namen bestückt, mit immer mehr Entertainment angereichert. Die Festival-Einzimmerwohnung mit Bad gehört quasi zum Standard.
Gleichzeitig wurden die Werbebanner grösser, die Präsenz der Sponsoren zentraler. Kein Festival und kaum ein Konzert kann heute ohne Werbung und Merchandising mehr überleben.

Trotzdem waren viele Festivals über Jahre hinweg ausverkauft, kaum waren die Tickets auf dem Markt.
Beispiele gefällig? In der Schweiz etwa das OPENAIR ST.GALLEN, in Deutschland das absolute Kultfestival WACKEN – dort bekamst du Tickets fast nur, wenn du sie gleich am Festival im Vorjahr gekauft hast.

Ähnliches gilt für Konzerte von AC/DC, BRUCE SPRINGSTEEN, IRON MAIDEN, METALLICA, den FOO FIGHTERS und vielen anderen.

Mittlerweile weht der Wind anscheinend aus einer anderen Richtung. St.Gallen ist wenige Wochen vor der Durchführung noch nicht ausverkauft, wird es wohl auch nicht werden. Ähnlich dürfte es dem GREENFIELD gehen, für ROCK THE RING und GURTENFESTIVAL gibt es noch viele Tickets. Das kleinere LUMNEZIA hat den Vorverkauf zwar beendet, an den Tageskassen werden aber bestimmt noch Tickets vorhanden sein. Selbst das mengenmässig grösste Openair der Schweiz, FRAUENFELD, ist nicht ausverkauft.

Aber auch Monsterfestivals wie ROCK AM RING/ROCK IM PARK, NOVAROCK oder GRASPOP sind nicht voll.
Selbst das grosse WACKEN war letztes Jahr nicht ausverkauft, dieses Jahr haben sie es wieder geschafft, aber längst nicht mehr so schnell und früh wie in der Vergangenheit.

Mit den Lineups kann das kaum zu tun haben, da findet man nur das Beste vom Besten – wenn auch an vielen Festivals immer wieder dieselben Namen.

Vorteile für Besucher

Für Festivalgänger bedeutet das, dass sie viel spontaner und kurzfristiger entscheiden können. Wird das Wetter am Wochenende gut? Cool, dann gehen wir ans…
Dazu kommt, dass es immer mehr Tickets zu gewinnen gibt – schliesslich sollen vor der Bühne lieber keine Lücken sichtbar sein, selbst wenn da viele Leute stehen, die keinen Eintritt bezahlt haben. Merch und Gastronomie kompensieren das ein wenig.
Und nicht zu vergessen, wenn nicht ausverkauft ist, gibt es mehr Platz und mehr saubere Toiletten.

Warum das Ganze – Kohle?

Sucht man nach Gründen, so ist ein Problem sehr schnell ausgemacht; die TICKETPREISE!
Eintages-Festival-Tickets in der Schweiz sind eher selten für unter Fr. 100.- zu haben, Mehrtagespässe schlagen dann schnell mit Fr. 200.- bis Fr. 300.- zu Buche.

Und Konzerte?

METALLICA kosten selbst ausserhalb der Schweiz locker über Fr. 100.-, KISS starten bei lockeren Fr. 179.-, RAMMSTEIN sind vergleichsweise günstig, Stehplätze gibt es so ab Fr. 120.-, Sitzplätze ab Fr. 150.- – und sie sind praktisch ausverkauft.

PHIL COLLINS kostet im Letzigrund ab Fr. 125.- und JON BON JOVI gibt es zum Discountpreis von Fr. 95.-.

Was ich hier noch nicht aufgeführt habe, sind die Preise für Golden Circle und Golden Golden Circle und für Fan Packages und VIP Packages und „schlag-mich-tot-Suppertickets“. Die kosten dann schon einmal bis gegen Fr. 1’000.-. Dafür darfst du mit dem Künstler ein Selfie machen – wenn du das in den wenigen Sekunden seiner Präsenz schaffst.

Die Schweiz ist, auch was Konzerttickets anbelangt, definitiv eine Hochpreisinsel. Manchmal kriegt man denselben Künstler in einer ausländischen Destination für Zweidrittel des Preises.

Und in eben diesem Ausland gibt es Festivals zu richtig anständigen Preisen. Am SUMMERBREEZE kostet ein Viertagespass € 135.-, und das bei einem Lineup von über 120 Bands!

Geld allein kann aber kaum der Grund sein, besonders nicht in der reichen Schweiz. Zumindest nicht, weil sich die Schweizer das nicht leisten könnten. Eine andere Frage ist, ob es auch vielen Schweizerinnen und Schweizern stinkt, solch hohen Preise zu bezahlen.
Und zunehmend zu bemerken, die Besucherinnen und Besucher aus dem grenznahen Umland bleiben immer mehr weg.

Zuviel zu gross zu unpersönlich

Hier liegt der grosse Hund im Pfeffer begraben. Es gibt schlicht ein Überangebot.
Während des Sommers kannst du jedes Wochenende an drei Festivals gleichzeitig gehen – in der Schweiz!
Konzerte? Wenn du willst, jeden Abend, sei es in Zürich, Luzern, Pratteln oder St.Gallen, überall spielen mehr oder weniger bekannte Bands auf. Und sobald mehr als zwei Bands am Start sind, ist das dann auch wieder ein Festival…

Wer kann und will das denn noch alles?

Zudem spielen bestimmte Bands als eine Art Intensivwirtschaft mehrmals pro Jahr in der Schweiz oder kommen während derselben Tour dreimal vorbei. Beispiele gefällig? Wie oft haben die TOTEN HOSEN in den letzten zwei oder drei Jahren in der Schweiz gespielt?
Ich glaube, das ermüdet viele Menschen.

Letztlich sind wohl jene Bands attraktiv, die entweder für gute Unterhaltung bekannt sind, Show machen und mit dem Publikum interagieren – egal wie gross die Bühne ist, oder die neues Material spielen.
Einen gewissen, vorab historischen Wert haben Tourneen von Bands, die demnächst wegzusterben drohen oder zurücktreten, ihre Abschiedstour geben. Manchmal dauern die übrigens Jahre, den einsamen Rekord halten hier wohl die SCORPIONS, die seit gefühlten zehn Jahren auf Good Bye Tour sind. Es sei Ihnen gegönnt.

Wie oft will ich dieselbe Band sehen, die immer dieselben Tracks spielt, immer dieselbe Bühnenshow abfeuert. Als Fan ertrage ich das relativ lange, aber sonst?
Beispiel gefällig; ich nehme mal die allseits beliebten POWERWOLF – wo bleibt da die Abwechslung? Zur Ehrenrettung; die Jungs können wenigstens mit dem Publikum interagieren und scheinen Spass an dem zu haben, das sie tun.

Und dann die vielen Kapellen, die unterwegs sind, „ihren Job machen“, und zwar so, dass man es spürt und sieht. Die lieblos herunterspielen, immer dieselben abgedroschenen Gags präsentieren.

Weniger ist mehr…

Als Webzine-Betreiber und Konzertfotograf stellt sich mir immer häufiger die Frage; sollen wir jetzt wieder eine Livereview über die Band xy machen, obwohl das schon der dritte Bericht im gleichen Jahr wäre?
Treiben wir wieder einen grossen Review- und Vorberichtsaufwand für grosse Bands und Festivals, die uns dann nicht zulassen? Vielleicht dreht hier der Wind irgendwann, wenn sich die Bankreihen oder Circles zunehmend entleeren und mehr Tickets verlost sind als verkauft.

Eine Möglichkeit – auch für uns als Webzine – liegt in der Konzentration.

Einerseits auf unsere Qualität; es muss nicht zu jedem Konzert eine Review geben. Wenn es schlecht war, muss man dann darüber schreiben? Die, die dabei waren, wissen es selber und für die, die nicht dabei sein wollten, ist es kein Trost.
Wir müssen auch nicht (mehr) täglich ein Dutzend News raushauen, damit wir mehr Klicks und Views haben – das tun ja andere schon. Lieber auswählen und den „unscheibaren“ Nachrichten eine Plattform bieten.

Andererseits auf eine Auswahl zugunsten des Gesamtpakets. Damit meine ich nicht die oben erwähnten Ticketpackages, sondern die Einzigartigkeit eines Events. Dass der Sound und das Licht stimmt, die Bands sich Mühe geben, die Veranstalter ein Ambiente bieten, das den Konzertbesuch zum Spass macht, selbst wenn die Band einmal nicht so Hammer ist.

Der Ort zum Beispiel:
Das OPENAIR ST.GALLEN ist nicht zuletzt wegen des Veranstaltungsortes zum Kultfestival geworden.
Die METALDAYS in Slowenien profitieren von der schönen Umgebung und den freundlichen Menschen, der GURTEN ist für viele Berner Pflicht, nicht wegen des Lineups, sondern wegen dem Gesamtpaket und weil man sich dort trifft.

Ich mag das SUMMERBREEZE, weil es ein unheimlich breites Lineup bietet, es jedes Jahr Neues zu entdecken gibt. Da spielen auch „berühmtere Bands“ nicht immer auf der Mainstage.
Das Foodangebot ist umfangreich und kostengünstig, das Festivalcamping ein absolutes Highlight – da gibt es nichts, was es nicht gibt!

Ähnlich geht es mir beim GREENFIELD. Das Lineup hat mich zwar in den letzten Jahren nicht immer überzeugt, auch heuer scheint mir die Headliner-Auswahl etwas speziell. Aber das Festival ist bunt, bietet für viele Geschmäcker etwas und vereint dadurch ganz unterschiedliche Menschen. Und die Pressebetreuung ist erste Sahne.

Soviel zu den grösseren Anlässen.

Immer mehr schätze ich die mittleren Festivals, bei denen nur wenige tausend Besucher aufmarschieren. Da bist du auch in der hintersten Reihe nah am Geschehen, siehst gut auf die Bühne, kriegst die Musiker gut mit. Und gerade solche Festivals bieten Alleinstellungsmerkmale.
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Die WINTERTHURER MUSIKFESTWOCHEN etwa; jede Menge Gratiskonzerte an verschiedenen Orten über zwei Wochen verteilt, die Hauptacts in der Steinberggasse, wo regelmässig die Post abgeht.

Oder das SUMMERDAYS Festival in Arbon, direkt am See gelegen. Am Freitagabend ist es gemütlich, es spielen Gruftikapellen und der Altersdurchschnitt liegt in der Region um die Fünfzig.

Mein Favorit aber; das STARS IN TOWN in Schaffhausen. Mitten in der Altstadt gelegen, auf einem etwas abschüssigen Platz, jeder sieht auf die Bühne. Das Food- und Getränkeangebot ist nicht ganz billig, dafür vielfältig. Mit der Startrampe git es ausserhalb des Geländes eine Bühne für Nachwuchsbands und weniger bekannte Truppen, die man ohne Ticket anhören und ansehen kann.
Das Lineup ist bunt und seit einigen Jahren ist konsequent etwas für die harten Klänge mit dabei – letztes Jahr etwa NIGHTWISh, dieses Jahr die SCORPIONS – auf Abschiedstournee…
Und ganz besonders; als Pressemensch fühle ich mich willkommen, kriege ein Bierchen oder ein Gläschen Wein, werde schnell Teil einer kleinen Familie und fühle mich so, als würde ich meinen Teil zum Gelingen des Festes beitragen.

Dann gibt es da noch die Kleinen.

Das OPENAIR BISCHOFSZELL, das vor einigen Tagen über die Bühne gegangen ist, gilt als eines der ältesten Festivals der Schweiz. Und es ist nach wie vor familiär, sehr überschaubar, es spielen Nachwuchsbands oder solche aus der Region. Fotopass? Wenn du danach fragst, schaut man dich leicht verdutzt an. Dafür klopfen dir die Bands schüchtern auf die Schulter und fragen, ob sie Bilder kriegen könnten. Security gibt es da nicht, vorne kannst du dich an den Bühnenrand setzen und als Fotomensch macht man dir Platz, weil es keinen Graben gibt.
Die Festwirtschaft machen Vereine oder Familie und Freunde der Veranstalter, die Bands helfen sich fröhlich beim Auf- und Abbau oder mit Equipment aus.

Klar, da werde ich AMON AMARTH oder IRON MAIDEN nie sehen, das Lineup wächst selten über zehn Bands hinaus. Dafür ist der Eintritt eher ein Trinkgeld, die Verköstigung ist währschaft und Preis-Leistung stimmt.

Warum also nicht öfter eines dieser kleinen Festivals besuchen? Menschen unterstützen, die kaum Profit erwirtschaften und es auch nicht deswegen tun. Warum nicht die kleinen Bars und Clubs supporten, in denen nicht auch noch Eishockey gespielt wird? Schaut euch in eurer Region um, da werdet ihr bestimmt so etwas finden!

Ich geb’s zu; ich werde auch dieses Jahr an grossen Festivals sein, eines meiner Highlights bleibt das BREEZE. Ich werde dem GREENFIELD einen Besuch abstatten und mich am ROCK THE RING rumtreiben. Und natürlich berichten unsere Girls auch dieses Jahr wieder vom WACKEN. Die METALDAYS lassen wir aus, das NOVAROCK oder das GRASPOP bleiben genauso aussen vor wie das WOODSTOCK – und zwar jenes in Polen und jenes in den USA.

Dafür stehen die mittleren Events wieder auf dem Plan, SUMMERDAYS und STARS IN TWON oder die nuscheligen wie etwa das KRACH AM BACH.
Gerne wäre ich auch ans „Festival Under de Öpfelböim“ in Birwinken TG gegangen, aber die Jungs nehmen sich eine Auszeit, haben noch Anderes zu tun und kommen 2010 wieder.
Finde ich eigentlich auch noch cool, oder?